3 FRAGEN, UM DIE WIRTSCHAFTLICHE SITUATION VON LANDWIRTEN BESSER ZU VESTEHEN

Angesichts der klimatischen Unwägbarkeiten, der Marktfluktuationen und der großen ökologischen Herausforderungen beschreiben die Landwirte ihre wirtschaftliche Lage oft als schwierig. Auf welchen Grundsätzen beruht ihre Vergütung ? Mit welchen Problemen und Anforderungen sehen sich die Landwirte konfrontiert ? Jean-Marie Séronie, Agrarökonom und Mitglied der französischen Landwirtschaftsakademie, erklärt uns detailliert die Funktionsweise der Betriebe.

1. Wie ist die wirtschaftliche Lage der Landwirte in Europa ?

Die europäische Agrarlandschaft ist von großen Unterschieden geprägt. Die Anzahl der Betriebe ist von Land zu Land sehr unterschiedlich: 290.000 Betriebe in Deutschland, 472.000 in Frankreich, 1 Million in Italien, 1, 5 Millionen in Polen und 3, 6 Millionen in Rumänien. „Die Zahlen sprechen Bände, “ erklärt Jean-Marie Séronie. „Je weniger Betriebe es gibt, desto größer sind sie. In Osteuropa gibt es viel Subsistenzwirtschaft, während es sich in Frankreich oder Deutschland um größere Betriebe mit höherer Produktivität handelt.“

In den letzten Jahren hat der Beitritt der osteuropäischen Länder zur Europäischen Union die Situation der Landwirte verbessert. „In 10 Jahren stieg ihr Einkommen in Polen um das 2-fache und in Bulgarien um 2, 5-fache, während es in Frankreich relativ stabil blieb.“ Die europäischen Fördermittel haben viel damit zu tun. In Frankreich betragen sie 25 % der Wertschöpfung (Umsatzerlöse abzüglich Aufwendungen) gegenüber 35 % in Bulgarien und 40 % in Litauen. „Die osteuropäischen Länder befinden sich in derselben Lage, in der wir vor 50 Jahren waren“, analysiert Jean-Marie Séronie. „Derzeit gibt es viele Betriebe mit einer starken „sozialen“ Dimension, aber sie werden sich zusammenschließen und allmählich modernisieren, um industrieller und produktiver zu werden.“

2. Wie werden die Landwirte bezahlt ?

Die Frage ist komplex. Frankreich ist zwar mit 70, 3 Milliarden Euro Jahresproduktion der größte europäische Agrarproduzent, jedoch durchlebt seine Landwirtschaft seit mehreren Jahren eine Krise. 2016 wies das Land den stärksten Rückgang der Agrarproduktion auf. „Tatsächlich gibt es in Frankreich keine wirkliche globale Einkommenskrise“, erläutert Jean-Marie Séronie. „Das Einkommen pro Landwirt war 2018 so hoch wie noch nie. Es stimmt jedoch, dass es zwischen den Betrieben enorme Unterschiede gibt und dass diese weiter anwachsen. Einige Sektoren – Milch, Getreide, Rindfleisch – wurden lange durch die GAP geschützt, die durch Regulierung der Märkte die Preise stabilisierte. Obst- und Gemüsehersteller hingegen waren nie Teil des Systems und mussten sich an klimatische und wirtschaftliche Unwägbarkeiten anpassen.“ Infolgedessen ist der Anteil der Betriebe ohne Einkommen in der Getreideproduktion besonders hoch, während der Weinbau der wohlhabendste Sektor ist (durchschnittlich 2.790 Euro pro Monat 2017 laut INSEE).

Und im Vergleich zu den Erzeugern in den anderen westeuropäischen Ländern ?
„1992 beschloss die Europäische Kommission, ihre Politik zu ändern, indem sie nach und nach die von ihr zur Unterstützung der Landwirte und zur Marktregulierung angehäuften Vorräte aufgab, und 2003 durch die Einführung von Hektarbeihilfen die Direktzahlungenvon der Produktion abkoppelte. Länder wie Deutschland wurden damals aktiv und förderten eine rasche Anpassung der landwirtschaftlichen Betriebe an die neuen Bedingungen.“ Das Land bot seinen Erzeugern beispielsweise die Möglichkeit einer festen Einkommensquelle, indem es mit ihnen Verträge über erneuerbare Energien wie Biogas aus landwirtschaftlichen Nutzpflanzen und Abfällen zur Erzeugung von Strom und Wärme schloss. „In Frankreich haben die landwirtschaftlichen Gewerkschaften immer verhandelt, um eine möglichst langsame Entwicklung zu gewährleisten. In einigen Betrieben ist die Situation immer noch sehr ähnlich wie zu Beginn der 2000er Jahre ", bedauert Jean-Marie Séronie. Während die Beihilfen in Deutschland derzeit unabhängig von der Produktion gleichmäßig unter den Landwirten verteilt werden, ist dies in Frankreich sehr kompliziert. „Die Beihilfen werden in Abhängigkeit von der Produktion berechnet. Für die gleiche Anzahl Hektar erhalten sie nicht das Gleiche wie ihr Nachbar, je nachdem, wie die Hintergründe ihrer Hilfen aussieht und ob sie Fleischkühe oder Schafe züchten, Hülsenfrüchte anbauen usw. Das ist ein völliges Durcheinander, das den Deutschen sicher verrückt vorkommt!“

3. Welche Lösungen gibt es für die Landwirte ?

Für die Landwirte, die vor der doppelten Herausforderung stehen, mehr für den Planeten zu produzieren und gleichzeitig die negativen externen Effekte ihrer Tätigkeit auf die Umwelt zu begrenzen, bleibt die Lage kompliziert. „Wo auch immer sie sich in Europa befinden, Landwirte sind Unternehmer, die perfekt kalkulierte Entscheidungen treffen müssen. Veraltete Geräte zu ersetzen, ist zwar notwendig, aber wenn man in die Entwicklung seines Betriebs investiert, muss man sich gut überlegen, was man erreichen möchte: Wertschöpfung oder Zeitgewinn. Wenn eine neue Maschine Zeit spart, man diese Zeit aber nicht zum Arbeiten nutzt, dient die Investition nur dem Komfort. Warum nicht, natürlich, aber man muss die Investition zurückzahlen und damit wird das Einkommen unweigerlich sinken. Man sollte auch bei Prestigeinvestitionen wie einem schönen Traktor vorsichtig sein. Man muss es sich wirklich leisten können.“

Jean-Marie Séronie ist es heute wichtig, den Landwirten eine Orientierung zu geben. „Die Situation ist schwierig. Die Auswirkungen des Lebensmittelgesetzes von 2018 lassen auf sich warten.“ Das Gesetz, das aus den Etats Généraux de l'Alimentation (EGalim) hervorging, hatte zum Ziel, das Gleichgewicht in den Handelsbeziehungen zwischen dem Agrarsektor und seinen Partnern wiederherzustellen, vor allem, um den Landwirten ein besseres Leben zu ermöglichen. „Aber die getroffenen Maßnahmen greifen nicht, ein Problem löst das andere ab“, stellt Jean-Marie Séronie fest. Was ist die Lösung ? Einen Kurs festlegen. „Im aktuellen Kontext ist Organisation alles. Schauen Sie sich mal die Branchen an, die sich strukturiert haben und eine Strategie verfolgen wie Pink Lady oder Le Comté. Ihre Erzeuger können nicht einfach tun, was sie wollen. Sie haben sich auf ein sehr genaues Lastenheft geeinigt und regulieren die Produktion, um die Qualität und den Preis ihrer Erzeugnisse zu gewährleisten. Heute müssen Branchenverbände, landwirtschaftliche Gewerkschaften und die Regierung gemeinsam einen echten Wandel einleiten. Und die öffentlichen Hilfen müssen umgeleitet werden, um diese Entwicklung zu unterstützen.“